Wann
Donnerstag - 25.04.2024
19:30 - 22:00
Wo
EineWeltHaus
Schwanthalerstr. 80
80336 München
Fortsetzung der Diskussion zur Lage der arbeitenden Klasse in Deutschland:
Die guten Leistungen des Sozialstaats:
Ganz viel herrschaftliche Betreuung für das Funktionieren der arbeitenden Bevölkerung
Arbeiterklasse – wer heutzutage mit diesem Begriff und in kritischer Absicht auf die schäbige Gemeinsamkeit all derer hinweist, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, trifft auf Unverständnis, macht sich lächerlich oder wird – noch schlimmer – als rettungslos antiquiert bemitleidet. Aus der bunten Vielfalt der modernen Arbeitswelt kann sich doch jeder ganz individuell das für ihn passende Angebot raussuchen. Und auch wenn für viele dabei nur „prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse“ zwischen Niedriglohn und Altersarmut herausspringen – es gibt da ja noch den deutschen Sozialstaat, der sich um die anfallenden Bedarfs- und Notlagen seiner lohnarbeitenden Bevölkerung kümmert. Dieser sozialstaatliche Bezug auf seine Bürger ist allerdings sehr aufschlussreich, deshalb wollen wir ihn an dieser Stelle einmal als unseren Kronzeugen vorstellig machen: Wenn der Staat seine arbeitenden Bürger in all ihren von ihm vorhergesehenen sozialen Problemlagen umfassend betreut, dann geht er in seinem Tun jedenfalls praktisch davon aus und stellt für die Lohnabhängigen damit sozusagen mit der Autorität seiner Gewalt klar, dass sie objektiv nichts anderes als eine Klasse sind.
Zum einen hat er für seine Bürger ein ganzes Netz von Sozialversicherungen eingerichtet; unterhalb einer von ihm festgelegten Einkommenshöhe verpflichtet er sie zur Mitgliedschaft. Ganz begriffslos, aber sehr treffsicher scheidet er sie damit grundsätzlich in solche, die seinem Urteil zufolge für sich selbst sorgen können, und Minderbemittelte, die zu einer eigenständigen Lebensführung nicht in der Lage sind. Auf Grundlage dieser Scheidung macht er die Lohnabhängigen wechselseitig füreinander und damit für die Unzulänglichkeiten ihrer Erwerbsquelle haftbar. Außerdem macht die Staatsgewalt auch zu zahlreichen anderen Gelegenheiten mit ihren sozialen Regelungen deutlich, wie viel Identität die Industriearbeiter, Bürokräfte, Informatiker, technischen Zeichner, Kindergärtnerinnen usw. dieses Landes mit ihrer Erwerbsquelle auch in ihrer Lebensrealität haben: Sie mögen sich selbst noch so sehr für stolze Blaumänner oder für die freiesten Individualisten halten und mit den jeweils anderen nichts zu tun haben wollen – regelmäßig braucht es offenbar nicht mehr als kurzfristige Zwischenfälle in der Konjunktur, der individuellen Familienplanung oder auf dem Wohnungsmarkt, um die gewohnte Einrichtung der Menschen in ihren Lebensverhältnissen so sehr durcheinanderzubringen, dass sie bis in die vergleichsweise bessergestellten Jobs hinauf ohne die Zuwendungen ihrer Politiker in Form von Strompreisbremsen, Liebe-Kinder-Gesetzen oder Mietzuschüssen dumm aus der Wäsche schauen.
Lob verdient der Sozialstaat für seine umfassende Fürsorge – ohne die Lohnabhängige nicht über die Runden kommen – nicht. Mit seinen Maßnahmen hält er die arbeitende Klasse funktional für ihre nützlichen Dienste – legt ihre Mitglieder also genau auf die Rolle fest, die sie so schlecht aushalten.
Darüber wollen wir diskutieren. Außerdem können natürlich Fragen, Einwände und Ergänzungen zum Vortrag vom 16. April diskutiert werden.
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